Visual Pleasures: Narrative Transformationen von Reiseerfahrung im Amateurfilm
Fr, 05/10/2012 – 14:00 bis 15:30
JKU – Johannes Kepler Universität, Altenbergstr. 69, 4040 Linz, Raum UC 6
Vortrag von Karin Fest im Panel 28 „‚On the Road‘: Darstellungen des Reisens und Nischen subjektiver Erfahrung“ im Rahmen des Zeitgeschichtetages 2012 in Linz
Italienurlaub im Jahr 1957: Ein frisch verheiratetes Ehepaar aus Österreich verbringt einige Tage in der italienischen Hafenstadt Sorrent, die sich grob mit den Eckpfeilern Strand, Markt, mittelalterliche Sehenswürdigkeiten und Modegeschäfte zusammenfassen lässt. Doch was macht ein ambitionierter Amateurfilmschaffender aus den Urlaubseindrücken, der Zeit des Aufenthalts und seinen Erinnerungen?
Der fiktionale Amateurfilm „Schuhe aus Sorrent“ (H. Apfelthaler, 1957) zeigt die Urlaubserinnerung als Rückblende, in die sich die Ehefrau von zuhause aus hinein imaginiert. Überraschenderweise zeigen sich nicht, wie von Amateurfilmern vielleicht zu erwarten, verfilmte Momente aus Reiseführern, sondern eine inszenierte Erzählung, welche die Ehefrau durch den Kauf eines Paars eleganter Schuhe in eine missliche Lage gegenüber ihres Ehemannes bringt.
Der Bestand Apfelthaler aus dem Österreichischen Filmmuseum zählt über 100 Amateurfilme – fiktionale und dokumentarische Filme, Familienfilme ebenso wie Auftragsarbeiten – anhand dessen ich in diesem Vortrag exemplarisch einen fiktionalen Reisefilm auf die Frage nach visuellen Transformationen, also auf die Darstellungsweise der Reise hin, untersuchen möchte.
Ryan Shands Argumentation folgend treten ambitionierte Amateurfilmer nicht wie Familienfilmer ausschließliche im „Home mode of representation“ auf, also der Präsentation von Aufnahmen im familiären Rahmen, sondern arbeiten im sogenannten „community mode“, welcher auf die Produktion und Präsentation von Filmen innerhalb einer bestimmten Gruppe, etwa Amateurfilmklubs, verweist.
Ausgehend von der Annahme, dass die Praxis des Filmens – wie auch des Fotografierens – und die Anwesenheit der Kamera die Reisegestaltung mitbestimmt und als „visual consumption“ konstruiert, folgt die Überlegung, dass ambitionierte Amateurfilmschaffende, die eine inszenierte Narration wiedergeben, Zufälliges, im ersten Augenblick vielleicht Unbedeutendes für die Entstehung der filmischen Erzählung umbewerten und in diese einbinden.
Der Beginn der ersten massentouristischen Phänomene steht zeitgleich mit dem Einsatz photomechanischer Aufzeichnungsmedien, durch welche es möglich wird, sich die Welt über Bilder anzueignen. Die Eigenart einer narrativen Inszenierung der persönlichen Reiseerfahrung verspricht nicht nur eine Aneignung der Welt durch Bilder, sondern fügt diese viel mehr noch als Transformation von vermeintlich peripheren Ereignissen – wie etwa einen Schuhkauf – in eine bedeutungsgeladene Erzählung.
Das Spannungsverhältnis zwischen individueller Reiseerfahrung und deren Darstellung als fiktional konstruierte Erinnerung, die für ein Publikum, das außerhalb der Familie steht, produziert wurde, führt in einen Diskurs der Fragen von Öffentlichem und Privatem, wie von Einzelnem und Gemeinschaft aufwirft. Welche Art von Begehren eines österreichischen Reisepaars jener Zeit manifestiert sich in den Bildern? Forschungsgegenstand ist ein
a-typisches Dokument einer Reise, welches die Reiseerfahrung selbst in ein „visual pleasure“ umgestaltet und die Grenzen der Darstellungsweisen von Reiseerfahrungen verschiebt.
Veranstalter: Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte, Johannes Kepler Universität Linz
Sponsor (Projekt): FWF Der Wissenschaftsfond