Publikationsprojekt „Europa in Mauthausen“
Projektförderung: FWF Der Wissenschaftsfonds, PUB621, PUB720, PUB930
Projektdauer: 2018–2025
Projektleitung: Gerhard Botz (Universität Wien)
Projektmitarbeiterinnen: Alexander Prenninger (LBIDH), Heinrich Berger (LBIDH), Regina Fritz (Universität Wien), Melanie Dejnega (FH Wien der WKW)
„Europa in Mauthausen“ ist ein Publikationsprojekt, das zum Ziel hat, die Ergebnisse des „Mauthausen Survivors Research Project“ – MSRP (2008-2011) und einiger Folgeprojekte zu veröffentlichen. Diese Geschichte der Überlebenden des Konzentrationslagers Mauthausen besteht aus insgesamt vier Bänden, die thematisch aufeinander aufbauen.
Der erste Band „Mauthausen und die nationalsozialistische Expansions- und Verfolgungspolitik“ (2021) präsentiert einen Überblick über das Lager und die Mauthausen-Forschung; er konzentriert sich einleitend auf methodologische Überlegungen und makropolitische Zusammenhänge. Die Beiträge zeigen, dass dem nationalsozialistischen Lagersystem in hohem Maße eine ‚Funktion‘ in den Besatzungs- und Verfolgungspolitiken des NS-Regimes (und der kollaborierenden Länder) zukam. In strukturgeschichtlicher Hinsicht wird das Konzentrationslager Mauthausen in den Logiken und Möglichkeiten der vom nationalsozialistischen Deutschland beherrschten und ausgebeuteten Territorien verortet und in der Dynamik einer anfänglich raschen Expansion und anschließenden Schrumpfung dieses Gebiets betrachtet.
Im zweiten Band „Deportiert nach Mauthausen“ (2021) geht es um die Deportationstransporte und die ständigen Transfers zwischen den verschiedenen NS-Lagern sowie um die Todesmärsche in der Endphase des NS-Regimes. Deportationen und permanente Überstellungen von Gefangenen innerhalb des Lagersystems waren ein inhärenter Teil des nationalsozialistischen Regimes. In diesem Band werden die verflochtenen ideologischen, wirtschaftlichen, militärischen und rein bürokratischen Erwägungen hervorgehoben, die dem KZ-System und der Unterdrückung und Vernichtung von politisch, ‚rassisch‘ und kulturell ‚unerwünschten‘ Personen zugrunde lagen. Der Band zeigt, wie stark diese Maßnahmen das Leben und die Lebensgeschichten der Überlebenden beeinflussten und eröffnet damit eine neue Perspektive auf die Geschichte des NS-Lagersystems aus Sicht der Deportierten.
Der dritte Band „Gefangen in Mauthausen“ (2024) handelt vom Alltag der Häftlinge in einem nationalsozialistischen Konzentrationslager und von ihren Versuchen, am Leben zu bleiben. Ihr Tod oder Überleben hing stark davon ab, in welche rassistischen, nationalen, politischen oder beruflichen Kategorien sie von der SS eingeordnet wurden und unter welchen Bedingungen und wann sie in das KZ Mauthausen deportiert wurden. Trotz des Terrorsystems der SS gelang es manchen Häftlingen, resilient zu sein und Lücken im mörderischen KZ-System als Überlebenschance zu nutzen.
Der vierte Band „Mauthausen überleben und erinnern“ thematisiert die Nachgeschichte der Überlebenden des KZs Mauthausen ab 1945, die bisher nur wenig im Detail und in die Tiefe gehend erforscht wurde und ermöglicht damit eine neue Bewertung der Rolle von Überlebenden bzw. deren Organisationen als Akteure und Akteurinnen des Gedenkens. Auch die Mythen vom Schweigen über die NS-Verbrechen nach 1945 werden quellenbasiert hinterfragt.
Die Grundlagenforschung und die Hauptquellen des Projekts, auf welchen die vier Bände im Wesentlichen basieren, stammen aus dem Mauthausen Survivors Documentation Project (MSDP), das 2002/03 unter der Leitung von Gerhard Botz in einer Kooperation des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes und des Instituts für Konfliktforschung mit einem internationalen Team von Mitarbeiter:innen durchgeführt wurde. Im Rahmen des MSDP wurden 859 Audio- und Videointerviews mit männlichen und weiblichen Überlebenden von Mauthausen und seinen über 40 Außenlagern geführt, die in Europa, Israel sowie in Nord- und Südamerika in 16 verschiedenen Sprachen aufgezeichnet wurden. Das an das MSDP anschließende, ebenfalls internationale Mauthausen Survivors Research Project (MSRP) nutzte diese einzigartige Quellenbasis für eine stringente Analyse; die Ergebnisse dieses Projekts werden hier erstmals öffentlich vorgestellt.
Die vierbändige Geschichte der Mauthausen-Überlebenden konzentriert sich sowohl auf die individuellen Erfahrungen und ihre Nachwirkungen in den Lebensgeschichten der Überlebenden als auch auf die sozialen und politischen Erinnerungs- und Erzählkontexte. Auf diese Weise wird gezeigt, dass das Lager-Universum Mauthausen in den nationalen Erinnerungskulturen Europas immer noch sehr lebendig ist.
Dieser Ansatz beinhaltet in allen vier Bänden die Verwendung einer breiten Palette von quantitativen Forschungstechniken und qualitativen Methoden zur Analyse von Audio- und Videointerviews, um einen Gesamtüberblick über die Verfolgungs- und Besatzungspolitiken der Nationalsozialisten und des Systems der Konzentrationslager am Beispiel von Mauthausen zu geben.
Neben den Herausgeber:innen haben 29 jüngere wie auch etablierte Forscher:innen aus Dänemark, Deutschland, Frankreich, Israel, den Niederlanden, Polen, Russland, Spanien, Ungarn, den USA und Österreich zu den Bänden beigetragen. Nur durch ein solch internationales Team war es möglich, die in 16 verschiedenen Sprachen geführten Interviews zu analysieren und die Erzählungen der Überlebenden innerhalb ihrer jeweiligen nationalen, politischen und kulturellen Kontexte zu interpretieren.
Die Bände erscheinen in Print und Open Access.