„Kriminelle“ und „asoziale“ Häftlinge in der Lagergesellschaft des KZ Mauthausen (1938-1945)

Projektdauer: 01.11.2015–31.10.2017

Projektförderung: Jubiläumsfonds der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB), Nr. 16450
Projektdauer: 01.11.2015–31.10.2017
Projektleitung: Gerhard Botz
Projektbearbeiter: Alexander Prenninger

Die schwarzen Winkel kennzeichneten Männer, die im Alltag außerhalb des Gesetzes standen. Fast alle leben in Deutschland, aber ihre braune Haut verriet ihren zigeunerischen Ursprung. Sie zeichneten sich im Allgemeinen durch eine seltene Dummheit und durch ihre exzessive Natur aus. Entweder waren sie von großer Sanftheit oder von namenloser Rohheit.
(Paul Tillard: Mauthausen, Paris 1945, S. 30)

Die Ausgrenzung von Minderheiten und Randgruppen ist ein in europäischen Gesellschaften bekanntes, oft erforschtes und dennoch weiter bestehendes Problem. Das Projekt untersucht derartige Mechanismen der Stigmatisierung am extremen Beispiel von Häftlingen des Konzentrationslager Mauthausen, die als „Kriminelle“ oder „Asoziale“ eingewiesen wurden. Die Definition von „Berufsverbrechern“, „Arbeitsscheuen“ und anderen „Gemeinschaftsfremden“ reicht jedoch weit vor den Nationalsozialismus zurück. Vorurteile gegenüber diesen Randgruppen waren auch unter den KZ-Häftlingen selbst weit verbreitet. Nach der Befreiung blieben beide Gruppen weiterhin stigmatisiert und wurden aus der Erinnerung an die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung ausgeblendet. Das Projekt hat erstmals diese beiden vergessenen Opfergruppen im Konzentrationslager Mauthausen untersucht und ihre Stellung innerhalb der Sozialstrukturen der Lagergesellschaft analysiert.

Den Hintergrund dieses anhaltenden „Vergessens“ bildet zum einen die Formierung „patriotischer Erinnerungen“ nach 1945, in deren Brennpunkt die politisch Verfolgten standen. Diese Erinnerung organisierte sich entlang der nach der Befreiung entstehenden nationalen Erinnerungskulturen; eine Reihe von Arbeiten zu einzelnen Häftlingsgruppen wie Polen oder Spaniern entstanden durch diese Fokussierung auf das Kriterium Nation. Zum anderen ist die Ausblendung der hier erforschten Gruppen aus dem Erinnerungsnarrativ auch durch die longue durée von „grundsätzlichen Ideen“ (Paul Martin Neurath) der europäischen Gesellschaften zu erklären, durch die gesellschaftliche Randgruppen stigmatisiert werden. Dieser Hintergrund erklärt auch, warum als „kriminell“ oder „asozial“ Verfolgte kaum Erinnerungsberichte hinterlassen haben.
Das Projekt füllt diese Forschungslücke mit einer ersten empirischen Studie: Am Beispiel des KZ Mauthausen wurde untersucht, welche Rolle Häftlinge mit den „grünen“ und „schwarzen“ Winkeln in der Lagergesellschaft innehatten. Grundlage waren die mittlerweile in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen bzw. im Internationalen Suchdienst Bad Arolsen verfügbaren Daten zu ca. 185.000 Häftlingen des KZ Mauthausen sowie die schriftlichen und mündlichen Berichte von Überlebenden aus diesen und über diese beiden Gruppen.

Das Projekt verfolgte drei Ziele: Erstens wurde untersucht, welche Personen im KZ Mauthausen von der Lager-SS als „kriminell“ und „asozial“ kategorisiert wurden und welche „Haftkarrieren“ diese Gruppen sowohl vor ihrer Inhaftierung in Mauthausen als auch in diesem Lager durchliefen. Zweitens wurde analysiert, welche Funktionen und Positionen den Angehörigen der beiden Gruppen innerhalb der nach rassistischen, ethnischen und sozialen Kriterien geschichteten Lagergesellschaft des KZ Mauthausen zugewiesen wurden bzw. sie einnehmen konnten. Drittens wurde der nach 1945 insbesondere  von politischen Häftlingen erhobene Vorwurf untersucht,  „Kriminelle“ und „Asoziale“ seien innerhalb der Häftlingsselbstverwaltung als Funktionshäftlinge zu Mittätern geworden und einen erheblichen Anteil an der Ausbeutung und Ermordung ihrer Mithäftlinge gehabt.

Das Projekt war bis Juni 2017 am Ludwig Boltzmann-Institut für Historische Sozialwissenschaft (LBIHS) angesiedelt und wurde  am Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Gesellschaft (LBIGG) fortgeführt.