“Heimat” im Gepäck?
Die Bedeutung der Migrationserfahrung in Lebensgeschichten “deutscher Vertriebener” in Österreich
Die Immigration von Angehörigen der deutschsprachigen Bevölkerung aus Ostmittel- und Südosteuropa in Folge des Zweiten Weltkriegs war in Österreich die zahlenmäßig größte Zuwanderung im 20. Jahrhundert: Bereits im April 1945 befanden sich in der „Ostmark“ als Folge der Evakuierung deutschsprachiger Bevölkerung aus besetzten oder kollaborierenden Regionen zwischen 300.000 und 400.000 „Volksdeutsche“, hinzu kamen in den folgenden zwei Jahren noch weitere 200.000, mehrheitlich aus der Tschechoslowakei und Jugoslawien. Nach Aus- und Weiterwanderung in die Bundesrepublik bzw. nach Übersee hatte zu Beginn der 1950er Jahre noch jede/r Zwanzigste der österreichischen Wohnbevölkerung wenige Jahre zuvor als Angehöriger einer deutschsprachigen Minderheit im (süd)osteuropäischen Ausland gelebt.
Im Gegensatz zur BRD, wo „Flucht und Vertreibung“ nach 1945 durchaus in Politik und öffentlicher Debatte präsent war, ist das Thema in Österreich bisher – entgegen seiner oben skizzierten historischen Bedeutung – kein zentraler Erinnerungsort. Seine Aufarbeitung ist bis heute rechtsnationalen, populistischen Kreisen und/oder den Vertriebenenorganisationen überlassen und erfolgt im Rahmen eines „Aufrechnungsdiskurses“, der in Kategorien von „Opfern“ und „Täter/innen“ verharrt.
Um solchen Dichotomien zu entkommen, die Vertriebene entweder als Opfer, Mit-Täter/innen oder Mit-Wisser/innen nationalsozialistischer Politik konzipieren, offeriert die vorliegende Arbeit eine neue Perspektive auf das Thema: Sie stellt die Migrationserfahrung der Vertriebenen in den Mittelpunkt und fragt nach der Bedeutung, die dieser im lebensgeschichtlichen Rückblick zugeschrieben wird. Dazu bedient sich die Studie eines Samples, das mittels mehrerer medialer Zeitzeugenaufrufe zusammengestellt wurde und möglichst heterogene Erzählungen über die Erfahrung von „Flucht und Vertreibung“ widerspiegelt.