Ellen Illichs Familienfilme: Selbstermächtigung im Kontext nationalsozialistischer Verfolgung
12 Jan 2022, 10:50 – 12 Jan 2022, 11:30
Online
Vortrag von Michaela Scharf im Rahmen des Doc- und PostDoc Kolloquiums „Jüdischer Film“ an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf
Aus einer jüdischen Familie stammend und durch die Ehe mit einem Kroaten zunächst vor nationalsozialistischer Verfolgung geschützt, lebte Ellen Illich (geb. Regenstreif) mit ihren drei Söhnen, Ivan und den Zwillingen Micha und Sascha, bis 1942 in Wien. Das Familienleben hielt Ellen Illich auf 16mm-Film fest. Zwischen 1936 und 1943 drehte sie insgesamt 17 Amateurfilme. Diese zeugen größtenteils von den Festtagen der Kinder und dem glücklichen Familienleben in der Villa des Großvaters. Ellen Illich erscheint darin aber nicht nur als fürsorgende Mutter, sondern auch als ambitionierte Filmamateurin „Maexie“ – so ihr Künstlername. Ihre Filme bezeichnete sie als „Maexie“-Productions. Der „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland im März 1938, durch den sich die Familie Regenstreif/Illich inmitten einer Gesellschaft wiederfand, zu der sie nach nationalsozialistischer Lesart nicht länger gehören sollte, bedeutete Ellen Illichs filmischer Erzählung zufolge keine maßgebliche Zäsur. Ihre Filme vermitteln Kontinuität, doch über die Jahre kommen immer mehr Aufnahmen hinzu, die auf die Verfolgung der Familie durch das NS-Regime verweisen: so filmte Illich u.a. die „Arisierung“ des Wohnhauses im Juni 1941 und den letzten Schultag der Söhne, die als „Mischlinge ersten Grades“ ab Juli 1942 vom Schulbesuch ausgeschlossen waren. Ihren letzten Film drehte sie 1943 im Exil in Florenz, wohin sie mit ihren Söhnen im Spätsommer 1942 schließlich flüchtete. Der Beitrag fragt nach den soziokulturellen Funktionen, die das Filmen für die Familie in diesen Jahren erfüllte. Ellen Illichs private Filmpraxis gerät dabei nicht nur als spezifische Form der Erinnerungsproduktion in den Blick, sondern auch als Mittel der Selbstermächtigung.
Kooperationspartner: Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg