Mission

Das Ludwig Boltzmann Institute for Digital History (LBIDH) arbeitet an der Entwicklung und Anwendung digitaler Technologien mit dem Ziel, die Geistes- und Kulturwissenschaften auf mindestens drei verschiedenen Ebenen zu verändern: methodisch, organisatorisch und inhaltlich.

Digitale Technologien können als Werkzeuge eingesetzt und als Forschungsobjekte betrachtet werden. Am LBIDH geschieht beides gleichzeitig.

Die Digital Humanities bieten die Möglichkeit, die traditionellen Gegensätze zwischen Soft und Hard Science, zwischen qualitativen Methoden in den Geisteswissenschaften und quantitativen Methoden in den Sozialwissenschaften zu umschiffen. Organisatorisch fördern sie eine akademische Kultur kollaborativer und interdisziplinärer Projekte. Diese Kultur begünstigt Innovationen.

Am LBIDH wird Digital History als eine spezifische Form der Digital Humanities verstanden, in der Zeit und zeitbasierte Medien zu eigenständigen Faktoren der Forschung und Präsentation werden. Vor diesem Hintergrund ermuntert Digital History zu einem  produktiven Austausch zwischen archivarischer Praxis und Geschichtsschreibung.

Das LBIDH  will den gesellschaftskritischen und transformativen Impulsen der Digital History Raum geben und die Freiheit und Innovationskraft der Grundlagenforschung mit angewandter Forschung verbinden.

Forschungsfelder

Im Einklang mit seiner Mission, neue Methoden im Allgemeinen und digitale Technologien im Besonderen zu erforschen, zu entwickeln und anzuwenden, und auf der Grundlage der spezifischen Expertise seiner Team Mitglieder konzentriert sich das Institut thematisch auf drei Forschungsfelder innerhalb der Geschichtswissenschaft und verwandter Bereiche der Geisteswissenschaften (wie Film- und Medienwissenschaft, Literaturwissenschaft): Visual History, Urban History und Holocaust Studies.

In vielen Fällen vereinen die Projekte des Instituts mehr als eines dieser Forschungsfelder. Allen drei gemeinsam ist, dass sie einzigartige Einblicke in die Entstehung der Moderne mit ihren neuen Beziehungen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Zeit und Raum, Erinnerung und Materialität, Geschichte und Gesellschaft bieten. Das LBIDH ist vor allem an neuen Methoden interessiert, ein Mapping der mannigfaltigen zeitlichen Schichten von Räumen durchzuführen, die materiellen Einschreibungen von Erinnerung freizulegen und die Sedimentation von Geschichte in den gesellschaftlichen Verhältnissen nachzuzeichnen.

Film spielt in vielen Projekten des Instituts eine zentrale Rolle, muss aber unbewegten Bildern, Texten und anderen Medietypen gegenübergestellt werden, um in seiner Spezifik voll erfasst werden zu können. Zudem muss er mit anderen Ansätzen kontrastiert und kombiniert werden, da Film am Institut nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel zum Verständnis der Moderne erforscht wird.

Die besondere Affinität des Instituts zum Film – als Kernstück seiner Untersuchungen in der Visual History – ergibt sich aus der Tatsache, dass Film ein zeitbasiertes Medium ist und seine Geschichte eng mit der Geschichte der Moderne verbunden ist.

Durch ihre wechselseitige Beziehung können Film und Stadt als genuin moderne Phänomene verstanden werden: Sie können als Ausdrucksformen und Inhalte füreinander (Film als Ausdruck der Stadt und – unter bestimmten Umständen – auch die Stadt als Ausdruck des Films) und für das gesellschaftliche Leben in der Moderne fungieren. Beide werden am LBIDH als Sedimentationen des gesellschaftlichen Gedächtnisses betrachtet, als materielle Einschreibungen von freiwilligen und unfreiwilligen Erinnerungen und Erwartungen, von Wünschen, Ängsten und Hoffnungen.

Nationalsozialismus und Holocaust bilden den negativen Horizont der modernen Gesellschaft und ihres Arsenals an Möglichkeiten. Einige am LBIDH durchgeführten Untersuchungen der Kulturgeschichte des Holocaust befassen sich auch mit der spezifischen Modernität des Mediums Film: als Instrument der indexikalischen Spurensicherung, als Medium des Gedenkens und als Maschinerie der Sinnstiftung.

Das LBIDH ist aus dem Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Gesellschaft (LBIGG) hervorgegangen, das 2019 umgewandelt und umbenannt wurde. Von seinem Vorgänger übernahm das LBIDH die Auseinandersetzung mit Kulturgeschichte mit dem Ziel, diese zu einer Form von Sozialgeschichte zu machen. Die Digitalisierung des kulturellen Erbes und die digitale Transformation der Gesellschaft erfordern jedoch neue Ansätze und eine grundlegende Überarbeitung etablierter Methoden, was sich auch im Namen und der Mission des Instituts widerspiegelt. Das Institut versucht, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu entschlüsseln und zu analysieren, indem es die kulturellen Artefakte der Gesellschaft, die damit verbundenen Praktiken und die Mikrogeschichten des Alltagslebens untersucht. Mit diesem methodischen Ansatz knüpft das Institut an den New Historicism sowie an die (britischen) Cultural Studies und deren gesellschaftspolitischen Anspruch an (und weniger an die (deutschen) Kulturwissenschaften).

Was die Materialien betrifft, so liegt der Fokus des Instituts auf Objekten, die von der Forschung lange Zeit wenig gewürdigt wurden, auf Objekten, die banal und ephemer erscheinen mögen: vernachlässigte Filmgenres (Sponsored Films, Amateurfilme, Footage), in Vergessenheit geratene Nutzungen von urbanen und nicht-urbanen Räumen. Das Forschungsinteresse liegt sowohl in der faktischen als auch in der imaginären Dimension dieser Objekte. Alltägliche Ereignisse erhalten die gleiche Aufmerksamkeit wie außergewöhnliche Ereignisse.

Mit seiner Pionierarbeit zu ephemeren Filmen (Sponsored Films und Amateurfilme im Allgemeinen, Stadtfilme im Besonderen), mit seiner Erfahrung in der Entwicklung von technologischen Standards für den digitalen Transfer und die digitale Annotation von Filmen ist das Institut zu einem attraktiven Partner und einer federführenden Einrichtung in internationalen Forschungsprojekten geworden.

Geschichte des Instituts

Das Institut ist aus dem Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Gesellschaft (LBIGG) hervorgegangen, das 2019 in das in Ludwig Boltzmann Institute for Digital History (LBIDH) umgewandelt und umbenannt wurde.

Das Institut wurde von der Ludwig Boltzmann Gesellschaft (LBG) 1977 an der Universität Salzburg eingerichtet und 1979 ans Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien verlegt, seit 2010 hat es seinen Sitz in der Wiener Hofburg. 2019 übersiedelte es aus dem Leopoldinischen Trakt (Zuckerbäckerstiege) in größere Räumlichkeiten im Reichskanzleitrakt (Batthyanystiege).

2005–2017 war es eines von vier Instituten des Ludwig Boltzmann Clusters Geschichte, bevor es sich wieder als eigenständiges Institut formierte. Es war an drei von fünf Schwerpunkten des Clusters beteiligt, die in die aktuellen Forschungsschwerpunkte des LBIDH eingeflossen sind: „Krisen der Demokratie und des Rechtsstaats, Diktaturen, Gewalt, Ethnozid, Holocaust“; „Soziale, mediale und kulturelle Erinnerungen, Gedenken“; „Methoden und Theorien im Bereich der Geschichts-, Kultur- und Sozialwissenschaften“. Seit 2009/2010 hat das Institut in einer Reihe von Forschungsprojekten schrittweise digitale Technologien eingesetzt.

Institutsleitung:

1977–2005 Erika Weinzierl
2005–2015 Siegfried Mattl
seit 2015 Ingo Zechner

Struktur und Organisation

Träger des Ludwig Boltzmann Institute for Digital History (LBIDH) ist die Ludwig Boltzmann Gesellschaft – Österreichische Vereinigung zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (LBG) mit Sitz in der Nußdorfer Straße 64, 1090 Wien, Österreich (ZVR-Zahl: 875209001 | UID: ATU 37866608).

Im Zuge der Transformation des LBIGG in das LBIDH hat die LBG im Jahr 2019 das Partnermodell ihrer Institute auch am LBIDH implementiert. Auf langjährige Zusammenarbeit und gemeinsamen Interessen gestützt hat die LBG strukturelle Partnerverträge mit drei Partnerinstitutionen unterzeichnet, die zusammen mit der LBG das LBIDH-Partnerboard (Partner) bilden.

Aufgrund der kollaborativen Arbeitsweise des Instituts gibt es eine Vielzahl von weiteren nationalen und internationalen Kooperationspartnern (Kooperationen).

Das LBIDH-Team bildet das Plenum des Instituts. Das Plenum trifft sich regulär auf monatlicher Basis (LBIDH Jour Fixes), um das Forschungsprogramm des Instituts, einzelne Forschungsprojekte und administrative Fragen zu besprechen. Die Mitglieder arbeiten untereinander und mit potenziellen anderen Beteiligten zusammen, um Forschungsideen zu Forschungsprojekten zu entwickeln und Drittmittelanträge zu entwerfen.

Das Institut verfügt über ein kleines Team ständiger Mitarbeiter:innen, die laufende Projekte und Projekte in statu nascendi wissenschaftlich begleiten sowie administrative und technische Unterstützung leisten.

Das Partnerboard (Partner) und der Wissenschaftliche Beirat (SAB) beraten das Plenum, die ständigen Mitarbeiter:innen und die LBG bei der Umsetzung des Forschungsprogramms des Instituts.

Ludwig Boltzmann Gesellschaft (LBG)