„Partie ins Grüne“ – Der Ausflug als Erweiterung und Gegenwelt zum städtischen Alltag

Wann

Fr, 05/10/2012 – 14:00 bis 15:30

Wo

JKU – Johannes Kepler Universität, Altenbergstr. 69, 4040 Linz, Raum UC 6

Vortrag von Carina Lesky im Panel 28 „‚On the Road‘: Darstellungen des Reisens und Nischen subjektiver Erfahrung“ im Rahmen des Zeitgeschichtetages 2012 in Linz.

In „Reisen: Praxis und Imagination“ beschreibt Matthias Brühlmann das Unterwegssein bzw. die Reise als „Mittel bestehende Strukturen aufzulösen oder auszublenden“. Dies geschieht laut Brühlmann in zweifacher Weise: „einerseits versetzt die Reise in ihrer direkten Praxis den Reisenden in die doppelt topologische Position des Betrachters von außen und des Teilnehmers von innen – eine ausnahmslos vorteilhafte Situation, um einen Ort zu entdecken; andererseits vermag die Imagination der Reise eine Sichtweise auf den Ort zu eröffnen, der kaum Grenzen gesetzt sind“. Die Beschreibung der vorteilhaften topologischen Position des Reisenden nach Brühlmann, entspricht auch jener des Familienfilmers – einerseits ist er Beobachter von außen, andererseits selbst Teil des (sozialen) Geschehens. Diese doppelt strukturierend-beobachtende Funktion macht das Produkt des reisenden Familienfilmers zu einer vielversprechenden Quelle der Untersuchung.
Dieser Vortrag befasst sich also mit einem Typus des Reisens, dem Ausflug aus der Stadt ins Grüne und dessen Aufzeichnungsmöglichkeiten in Form von Familienfilmen. Dabei steht besonders die Frage nach der Darstellungsweise des Unterwegsseins im Vordergrund. Wie wird die Reiseerfahrung artikuliert und strukturiert? Was wird dokumentiert, was ausgelassen? Inwiefern unterscheidet sich der Familienfilm als Repräsentationsmittel von anderen erfahrungsbezogenen Reisedokumenten? Als Ausgangsmaterial dient ein Familienfilm der Familie Flack aus dem Bestand des Österreichischen Filmmuseums. Die jüdische Familie führte ein mittel- bis kleinbürgerliches Leben in Wien, wo sie einen Waschsalon betrieben, bevor sie nach dem „Anschluss“ Österreichs nach Amerika emigrierten. Das Filmmaterial enthält Szenen aus dem Wiener Alltag der Flacks: Aufnahmen der spielenden Kinder, Spaziergänge im Park aber eben auch – als Gegenpol zum städtischen Alltag – Ausflüge in die Umgebung Wiens.
Der Film mit dem Titel „Motorrad-Partien 1933“, auf den ich mich in meinem Vortrag konzentrieren möchte, zeigt die Familie während einer Motorradtour mit Freunden und Bekannten. Auf neun Zweirädern mit Beiwagen sowie in Begleitung eines Autos fahren sie durch den Wienerwald bis ins Salzkammergut. Neben Panoramaaufnahmen der Umgebung sowie der vorbeifahrenden Motorräder ist ein großer Teil des Films der Dokumentation von Zwischenstopps gewidmet. Eine Wiese mit Krümel pickenden Hühnern, wird während eines Picknicks zu Abenteuerplatz, sozialem „Event“ und Ort der Selbstinszenierung vor der Kamera. Die Fahrt ins Grüne dient den Städtern als Gegenwelt zu ihrem Wiener Alltag. Sie bietet ihnen die Möglichkeit, den Alltag hinter sich zu lassen, die städtischen Grenzen aufzulösen oder auszublenden und damit ihren Lebensraum zu erweitern.
„At that time you didn’t have the amout of travelling. Leisure time was very restricted – so an outing with the motorcycle was already something decent, an achievement“, erklärt Peter Flack, Sohn der Familie, der in der Zeit, als die Filme entstanden, ein kleiner Junge war, in einem Interview 2011, die Geltung, die solchen Ausflügen im Wien der 1930ern zukam. Solch ergänzendes Quellenmaterial ist von besonderem Wert für die Bearbeitung der Thematik, da sie aus zeitlicher Distanz eine weitere Perspektive auf das Ausgangsmaterial eröffnet.

Veranstalter: Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte Johannes Kepler Universität Linz
Sponsor (Projekt): FWF Der Wissenschaftsfond