Sponsored Films und die Kultur der Modernisierung. Schnittstellen zwischen Ökonomie und Ästhetik im österreichischen Werbe- und Industriefilm

Projektförderung: Österreichische Akademie der Wissenschaften (DOC-Team)
Projektdauer: 01.08.2010–31.07.2013
ProjektmitarbeiterInnen: Sema Colpan (LBIGG); Lydia Nsiah (LBIGG); Joachim Schätz (Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaften, Universität Wien / LBIGG)
Projektpartner: Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Gesellschaft (LBIGG); tfm | Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien; Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften, Akademie der bildenden Künste Wien; Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien

In ihrem transdisziplinär ausgerichteten Forschungsprojekt „Sponsored Films und die Kultur der Modernisierung. Schnittstellen zwischen Ökonomie und Ästhetik im österreichischen Werbe- und Industriefilm“ haben sich Sema Colpan, Lydia Nsiah und Joachim Schätz mit (vorrangig) österreichischen Werbe- und Industriefilmen beschäftigt, die zwischen 1920 und 1960 produziert wurden. An diesen wurde untersucht, wie das Zusammenspiel ökonomischer Modernisierungsprozesse und ästhetischer Verfahren visuelle Kultur hervorgebracht hat.

Die Debatte über „Sponsored Films“ ist zum einen durch eine Neuorientierung der internationalen Filmarchive geprägt, die damit auf ein erweitertes Verständnis von cultural heritage reagieren. Zum anderen wird die Auseinandersetzung von einer kulturwissenschaftlich ausgerichteten Filmwissenschaft konturiert, die gegenüber formal-ästhetischen Analysen im dominanten Untersuchungsfeld von Spielfilm und fiktionalem Autorenkino die wissenschaftliche Beschäftigung mit historischen Praktiken und Aufführungskontexten jenseits von Genrekategorien aufwerten will. Für den Werbe- und Industriefilm kristallisierten sich dabei als forschungsleitende Fragestellung diejenige nach dem Konnex von Unternehmensentwicklung und Kommunikationssystemen bzw. Medien heraus: Medien kommt eine Schlüsselstellung für die Koordinierung und Steuerung von rationalisierten Produktions-, Distributions- und Konsumtionsprozessen zu. Werbe- und Industriefilme sind ein essenzieller Teil moderner Unternehmenspolitik. Ihr Gebrauch reichte von der Aufzeichnung von Arbeitsprozessen als Material arbeitswissenschaftlicher Studien nach innen bis zur Kommunikation einer Corporate Identity nach außen. Damit geraten, als außer in Einzelstudien noch kaum erforschter Bereich, die Rolle und Funktion ästhetischer Innovation als Bestandteil moderner Unternehmensstrategie in den Fokus einer Disziplinen überschreitenden Kulturwissenschaft.

Die Aufwertung von und das Interesse an Werbe- und Industriefilmen korreliert mit wissenschaftlichen Anstrengungen, zu einer möglichst umfassenden Theorie der gesellschaftlichen Entwicklungen und Veränderungen im 20. Jahrhundert zu gelangen. Die Filme wurden für den Zeitraum 1920–1960 in ihrem Verhältnis zu der sich im selben Zeitraum entfaltenden Massenproduktion und Massenkonsumtion untersucht. Dieser Zeitraum korrespondiert auch dem internationalen Aufschwung einer experimentierfreudigen und universal orientierten Werbe- und Industriefilm-Branche sowie deren Niedergang mit der Ablöse der Kino- durch die Fernsehwerbung. Während über die historische Werbe- und Industriefilmproduktion in Deutschland bereits einige Überblickswerke, Textsammlungen und monographische Studien vorliegen, waren die entsprechenden Bestände in Österreich weitgehend unerschlossen.

Vor dem Hintergrund leistete das Projekt „Sponsored Films“ und die Kultur der Modernisierung. Schnittstellen zwischen Ökonomie und Ästhetik im österreichischen Werbe- und Industriefilm“ grundlegende Quellenarbeit. Die eruierten Werbe- und Industriefilme wurden im Hinblick auf die ihnen eingeschriebenen Verbindungslinien zwischen ökonomischer Rationalisierung, Filmästhetik und Praktiken der Wissensproduktion (Werbepsychologie, Marktforschung) untersucht.

Sema Colpan: Corporate Modernity? Der österreichische Werbe- und Industriefilm unter besonderer Berücksichtigung der 1930er bis 1960er Jahre

Im Mittelpunkt der wirtschafts- und kulturhistorisch ausgerichteten Studie von Sema Colpan stand die Frage nach der Bedeutung und Funktion von Werbe- und Industriefilmen innerhalb der Implementierung des tayloristischen Produktionsparadigmas und der Entfaltung des fordistischen Akkumulationsregimes. Neben Erkenntnissen der Industriegeschichte, Forschungen zum Wandel in der Betriebsführung – Stichwort Amerikanismus – und der Konsumgeschichte ist die Regulationstheorie für die Charakterisierung des wechselhaften Verhältnisses zwischen makroökonomischen Entwürfen und dem kleinteiligen Geflecht der Werbe- und Industriefilmbranche grundlegend. Nicht zuletzt deshalb, weil ihre Modelle es gestatten, die strukturelle Neuausrichtung des Akkumulationsregimes auf gesamtgesellschaftlicher Ebene zu denken und somit soziale und kulturelle Regulationsfaktoren mit einzubeziehen.
Die hierfür benötigte Rekonstruktion der Produktions- und Distributionspraktiken ausgewählter Filme erlaubt, einen erstmaligen Einblick in den Nexus von Optimierungsbestrebungen im Bereich der Produktion, ihrer Verwissenschaftlichung („scientific management“ und „social engineering“) und ihrer Kommunikationsstrategien zu liefern. Die Untersuchung einzelner Filme auf ihre visuelle Anbindung an Konzeptionen industrieller Moderne ermöglicht, die Konvergenz von Kultur und Ökonomie im Untersuchungszeitraum unter erweiterten Vorzeichen zu erfassen.

Lydia Nsiah: Im Rhythmus der Avantgarde. Technologisierung von Wahrnehmung und Wissensvermittlung im „Sponsored Film“

In der medien- und kunstwissenschaftlichen Forschungsarbeit von Lydia Nsiah stellen die im gemeinsamen Projekt „Sponsored Films“ zusammengetragenen österreichische Werbe- und Industriefilme die Grundlage für eine international vergleichende Analyse der filmästhetischen und wissensstiftenden Relationen zwischen Industrie und Avantgarde dar. Einerseits wurden Erscheinungsformen einer avantgardistischen Filmästhetik im Werbe- und Industriefilm herausgearbeitet und andererseits wurde der Fokus insbesondere auf die Übersetzung von avantgardistischen Theorie-Konzepten der Transformation von Lebenswelten ins ephemere Filmbild des „Sponsored Films“ gerichtet. Die Untersuchung folgte der Hypothese, wonach die radikalen ästhetischen Experimente der avantgardistischen Kunst für den zweckorientierten Werbe- und Industriefilm produktiv gemacht werden konnten. Avantgardistische ästhetische Verfahren gaben abstrakten Prozessen im Produktions- und Distributionsbereich Sichtbarkeit und förderten die affektive Wahrnehmung dieser Veränderungen.
Der Begriff des Rhythmus fungiert diesbezüglich als Analyseinstrument. Rhythmus ist formgebendes Verfahren der Filmavantgarde ebenso wie Instrument für die Einübung standardisierter Arbeitsabläufe und suggestives Werbeelement. Methodisch setzte Lydia Nsiah ihre vergleichende Untersuchung von avantgardistischen und konventionellen Werbe- und Industriefilmen somit bei der Verwendung rhythmusgebender Filmtechniken (Animation, Verzerrung, Zerstückelung) an. In Anbetracht ihrer ästhetischen Ausführung im avantgardistischen Auftragsfilm waren sie Ausdrucksmittel der Etablierung einer neuen „Bildsprache“ – mit dem Ziel die menschliche Wahrnehmung an Rationalisierungs- und Abstraktionsprozesse zu gewöhnen und korrespondierende Verhaltensmuster einzuüben. Anhand eines eigens erarbeiteten Rhythmus-Konzepts wurden die dem „Sponsored Film“ inhärenten Schnittstellen zwischen affektiver Ästhetik und ökonomischer Effizienz analytisch ausgewiesen.

Joachim Schätz: Ökonomie im Bild. Rationalisierung und Kontingenz in Werbe- und Industriefilmen

In seiner filmwissenschaftlichen Dissertation untersuchte Joachim Schätz ausgewählte Filme entlang des für die industrielle Moderne zentralen Begriffspaares „Rationalisierung“ und „Kontingenz“. Mittels der beiden Schlüsselbegriffe wurden Schnittpunkte und Berührungsflächen ausgewiesen und akzentuiert, die sich zwischen den Poetiken der Filme, zeitgenössischen Praktiken und Diskursen der Effizienzsteigerung sowie theoretischen Konzepten von Film als Vermittler von (reflexiver) Moderne herstellen lassen.

a. Bild: Sponsored Film (PEZ-Fragment, 1950er Jahre) © Österreichisches Filmmuseum